Mont Ventoux 2015: Der einsame, mystische Gigant der Provence

Beitrag von Kai-Michael Lilie

Ich habe so manche Träume auf dem Rad erleben können. So manche träume ich noch. Kai-Michael - Radfahrer & Blogger aus Leidenschaft.

24. Januar 2020

Der mystische Berg

Jahrelang fuhr ich entlang der A7, der Route du Soleil, in den Urlaub in das Massif des Maures nördlich der Cote Azur. Jedes Mal ging es dabei am Mont Ventoux vorbei, der links stets verlässlich und markant auftauchte.

Der Anstieg auf den Mont Ventoux ist einer der vier Kultanstiege Frankreichs (neben Galibier, Alpe d’Huez und Tourmalet). Manch einer würde sogar sagen: Der Kultigste. Jedenfalls ragt er im wortwörtlichen Sinne heraus, ist einfach nicht zu übersehen.

1.912 Meter ist der Gigant hoch, und er dominiert als weißer Riese mit seinem kahlen, an Schnee erinnernden konischen Gipfel mit dem markanten Telegraphenmast die Landschaft. Von oben hat man denn auch bei gutem Wetter einen weiten, fantastischen Blick vom Mittelmeer bis zu den Alpen.

Mont Ventoux: Blick auf die Alpen
Der Blick von oben gen Norden auf die Alpen

Die gängigste Übersetzung des Mont Ventoux lautet „windiger Berg“. Und tatsächlich peitscht der Mistral regelmäßig über die öde Kuppe. Und dann kann es gefährlich werden, dann wird sogar die Tour de France verkürzt, um die Fahrer vor seinem Atem zu schützen.

Der Hobbyfahrer kann nur sich selbst schützen, und er sollte seine Kräfte und die Kräfte am Berg gut in Übereinstimmung bringen, damit er seine Tour heil übersteht. Jedes Jahr gibt es immer wieder tote Radfahrer!

Weitere nicht zu unterschätzende Kräfte sind die Kälte oben, und die Hitze unten. In Verbindung mit dem Wind oben und Windstille unten können beide echte Killer sein, die einem die Energie nachhaltig aus den Knochen saugen.

Auch die Steigungen selbst, die zum Schluss knapp fünf Kilometer lang am Stück und zuvor immer wieder lange bei 10% und teilweise darüber liegen, fordern ihren Tribut.

 

Klare Ansage

Der erste Alpinist

Francesco Petrarca
wikipedia

Vermutlich im Jahre 1336 schilderte Francesco Petrarca in einem Brief, wie er den Mont Ventoux erklommen hat.

Fälschlicherweise wird oft behauptet, Petrarca selbst sei der Erstbesteiger gewesen. Tatsächlich beschreibt er in dem Brief, wie er von einem Hirten auf den Berg geführt worden sei. Und dieser Hirte konnte ihm den Weg weisen, da er den Gipfel von einen vorherigen Besteigung her kannte.

Petrarca war ein Mensch, der mit einem Teil seiner selbst noch im Mittelalter verwurzelt war, gleichzeitig sich aber auch den Erkenntnissen und Einflüssen der Antike zuwandte, zu deren Wiederentdeckung auch er beitrug. Er half mit seinen Werken maßgeblich mit die Renaissance einzuläuten.

Kulturhistorisch ist die Beschreibung der Besteigung ein herausragendes Dokument: Petrarca beschreibt sie als die Tat eines Menschen „aus Lust an der Sache selbst“, und nicht, wie im Mittelalter üblich, als eine Preisung Gottes.


1. Auffahrt 2014

1951 wurde der Gipfel bei der Tour de France zum ersten Mal angesteuert. Seine Anstiege waren Schauplätze unvergessener Radsport Momente:

Radsport Legenden wie Eddy Merckx, der nach seinem Etappensieg erst einmal ins Sauerstoffzelt musste, und Marco Pantani nach einem legendären Duell mit Lance Armstrong, haben hier gewonnen.

1967 kollabierte und verstarb mit Amphetaminen zugedröhnt, dehydriert, halluzinierend der britische Exweltmeister Tom Simpson („Put me back on my bike!“).

Mont Ventoux: das Denkmal des Tom Simpson
Mahnmal für den am Mont Ventoux verstorbenen Tom Simpson

2016 versuchte sich Chris Froome als Jogger am Berg, nachdem er in einen Sturz mit einem Begleitmotorrad verwickelt war, auf Klickpedalen in Ermangelung eines Ersatzfahrrads (er bekam später doch noch ein Rad und schaffte es über die Linie).

Der Mont Ventoux ist einer der Berge, wenn nicht der Berg, den jeder Hobbyradler einmal erklommen haben möchte. Und viele versuchen es, insgesamt gibt es auf Strava mehr als 160.000 Einträge Stand 2019). Man hat dabei an manchen Tagen das Gefühl, dass mehr Leute am Berg sind, als in der Ortschaften drum herum.

 

Mont Ventoux: in der Geröllwüste vor dem Gipfel
„Schneekuppe“

Ich selbst hatte es jahrelang nicht geschafft, den Berg anzusteuern, um ihn zu erklimmen. Zu meiner Entschuldigung: Von meinem Feriendomizil sind es ca. drei Stunden Autofahrt nach Bedoin und ich habe Familie.

Bedoin ist der Startpunkt des Klassikers hoch auf den Ventoux. Jede TdF Etappe überquerte bzw. nahm sich des Berges aus diesem Ort kommend an, obwohl es noch zwei weitere Auffahrten gibt. 2014 war es für mich das erste Mal soweit: Ein Tag „frei“ von der Familie! Auf zum Ventoux!

Als ich losfuhr, war der Horizont ungewohnt grau. Nach meinem Abstieg vom Massif des Maures in die Ebene brach für zwei Stunden auf der Autobahn ein Gewitter über mich ein, dass die Bahn flutete. Mit 100 km/h war ich „king of the road“. Während dieser Irrsinnsfahrt stellte ich mir die Frage: „Wie sieht es erst am Berg aus?“ Aber ich war neudeutsch „determined“ und „commited“, den Anstieg an genau diesem Tag zu meistern. Also weiter!

 

Auf der Autobahn

Als ich Richtung Carpentras von der Autoroute abbog, hatte der Regen glücklicherweise aufgehört und ich fuhr auf den Wolken umgehangenen Gipfel zu.

 

Bei Carpentras

In Bedoin fische ich das Rennrad aus dem Auto, und los ging es in einem Rutsch auf den Gipfel. Kurz vor dem Telegrafenmast holte mich fast der heftige Wind vom Rad. Auf dem Weg runter, habe ich wegen der Kälte minutenlang geschnattert, aber auch das hatte ich am Ende geschafft. Also Haken dran!

 

Mont Ventoux: Das Gipfel Plateau.
Im Nebel oben

Cinglé, bekloppt!

Denkste Puppe!

Nachdem ich mich von meiner heroischen Tat (jedem zu empfehlen) erholt hatte, las ich vom: Club des Cinglés du Mont Ventoux, frei übersetzt, „Club der Bekloppten vom Mont Ventoux“. Der Eintrittspreis zum Club: Online Registrierung, 20 €, eine Brevetkarte, alle drei Anstieg innerhalb von 24 Stunden (= 140 km und 4400 Höhenmeter).

 

Die Webseite im Januar 2020
https://www.clubcinglesventoux.org/de/

Es gibt auch noch zwei Steigerungen des zu erreichenden Bekloppheitsgrades: Die Variante „Galerien“ (Galeerensträfling, 3 Anstieg plus ein weiterer Anstieg über eine Forststraße). Schließlich die „doppelt Bekloppten“, „Bicinglé“ (= 2 x 3).

 

Die „Karte“ von vorne

Das wäre doch mal was! So dachte ich mir, und machte mich auf die Internetrecherche. Heute mit fast 15.000 Clubmitgliedern, ist die Informationsgewinnung einfacher geworden. Alles schön auf Deutsch! D.h. zumindest der Einstieg in den Aufstieg fällt nunmehr ein wenig leichter. Aber Ende liegt die Wahrheit jedoch wie immer wieder in den Beinen.

Die Mitgliedschaft erhält jeder, der die drei verschiedenen Anstiege meistert, und sie auf der Brevetkarte dokumentiert. Beschiss ist möglich, da keiner mitfährt und Euch dann die Karte nach vollendeter Tat abzeichnet. Aber am Ende muss jeder wissen, ob er sich selbst bescheißen will.

Dass Abzeichnen der Karte kann in nahezu in jedem Geschäft, Café, Bäckerei, etc. jeweils vor Ort erfolgen. Bei mir ging das alles total easy.

 

Die Rückseite der Brevetkarte

Aber zur Challenge selbst: Innerhalb von 24 Stunden, drei komplett asphaltierte Auffahrten rauf und runter. Nicht die Stempel vergessen! Ich bin ich dieser Reihenfolge gefahren:

  • Zuerst Malaucène (21,4 km, 1.586 Höhenmeter, 7,45% Durchschnittssteigung),
  • dann den Klassiker Bédoin (19,4 km, 1.503 hm, 7,75% Durchschnitt),
  • schließlich Sault (24,2 km, 1.186 hm, 5% durchschnittlich bergauf). Bédoin und Sault teilen sich die letzten 5 km.
Blick über Malaucène

Ich habe mir für die drei Auffahrten einen Tag und eine Nacht von der Familie frei genommen. Ich fuhr am späten Nachmittag von La Garde-Freinet im Massif des Maures los, sodass ich abends mir noch in Ruhe Malaucène anschauen konnte. Nettes Städtchen. Abends dann alles vorbereitet, und frühstmorgens los.

 

Alter Dorfwaschplatz in Malaucène

Relais

Da ich die Strecke alleine meistern musste, hatte ich mein Auto als Relaisstation direkt oben auf dem Berg beim Restaurant abgestellt. Das war kein Thema. Zwar hatte ich eine gewisse Befürchtung, dass dies nicht gerne gesehen werden würde bzw. nicht erlaubt sei, aber letztlich alles kein Problem.

 

Das Basislager kurz vor dem Gipfel

Im Auto war alles drin, was ich meinte, für die Anstiege zu brauchen: Abgefüllte Bidons, Essen, Ersatzteile, Wechselwäsche. Ich hätte ich mich auch in den Auto langmachen können.

 

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Nachdem das Auto abgestellt war, genoss ich den fantastischen Blick auf die Seealpen und schoss anschließend High Speed innerlich jubilierend mit dem Bike nach unten.

 

Abwärts!
Blick zurück und nach vorne

Auffahrt N°1: Malaucène

In Malaucène

Malaucène bietet ebenso wie Bédoin eine gute Infrastruktur mit Hotels, Pensionen, Fahrradgeschäften, um das Abenteuer anzugehen.

 

Ortsmitte

Der Weg zum Gipfel ist von der Ortsmitte aus gut ausgeschildert. Einmal auf dem richtigen Weg muss man nur der Straße nach oben zum Observatorium und Telegraphenmast auf dem Gipfel folgen.

 

This way, please!

Auf dem Weg nach oben passiert man drei markante Punkte: zunächst den Campingplatz am Ortsausgang, ab da geht es gefühlt „richtig“ los. Danach, nach ca. 12 km erreicht man eine Kreuzung, an der es links zur Skistation Mont Serein geht. 

 

Abzweig zur Skistation vom Gipfel kommend

Fast unmittelbar darauf  folgt das Chalet Liotard. Von hier sind es schließlich noch circa sechs km zum Ziel. Knapp drei Kilometer nach dem Chalet geht es um eine Ecke und man sieht den Ventoux in seiner vollen Pracht vor sich.

 

Blick mit Nackenstarre auf den Gipfel, von Malaucène kommend

Die Auffahrten von Malaucène und Bedoin unterscheiden sich – bei aller Ähnlichkeit auf den ersten Blick – meines Erachtens deutlich in ihrem Charakter voneinander

Beide sind fast gleich steil und lang, Von Bédoin aus steigt die Strecke gleichmäßiger als von Malaucène an. Darin liegt die „Härte“ aus dieser Richtung; es gibt keine Abschnitte zum „Durchschnaufen“. Malaucène ist unrythmischer, es gibt steilere, aber eben auch flacherer Stellen. Wobei auch hier die flachen Stücke mit in der Regel nicht weniger als 8% auf dem Garmin nicht wirklich zum Durchatmen einladen.

Die letzten Kilometer zum Gipfel vom Norden aus kommend sind topologisch / optisch steiler, vom Süden aus flacher. Auf beiden Straßen geht es jedoch effektiv für die Beine gleich steil und schwer nach oben geht.

Der Blick vom Süden aus Richtung Norden (der „Klassiker“) ist „weiter“, sodass der Schlussanstieg „lang“ wirkt, das ist mental ggf. eine andere Herausforderung als von Malaucène aus. Von dort aus, wo die Antennen auf einmal sehr eindrucksvoll hoch oben über einem auftauchen, ist das Ziel „näher“, und somit vielleicht gefühlt „leichter“ zu erreichen aus von Bédoin aus.

Auf jeden Fall hat jede Route ihre eigenen Herausforderungen, und setzt damit ihre eigenen, unterschiedlichen Reize. Wenn die Zeit da ist, sollte der Gipfel von beiden Seiten angegangen werden.

 

Der weite Blick von Süden kommend nach oben

Die Strecke von Maulaucene bietet im Gegensatz zu der von Bédoin aus mit dem Blick auf die Alpen ihr ganz eigenes attraktives Panorama. 

 

Blick auf die Seealpen

Wenn es nur die Möglichkeit für einen Aufstieg gibt, so gewinnt jedoch Bédoin bei der Qual der Wahl um „den“ Anstieg auf den weißen Riesen. Dieser Aufstieg hat die „Geschichte“ in sich. Hier leiden auch die Profis, hier ist das Memorial für Tom Simpson, hier ist der bekannte Blick aus den Berichterstattungen. Aber der Anstieg vom Norden aus ist mindestens genau so schön. Und das letzte Stück am Berg zeigt hier ganz klar auf beiden Wegen: Ganz! Schön! Lange! Steil!

 

Es geht los!

Genug dem Gerede: Am 12. August 2007 um 04:20 Uhr nahm ich die erste Auffahrt in Angriff. Ca. drei Stunden später war ich oben.

Auf dem schönen glatten Asphalt (black ice) früh morgens alleine genoss ich die Stille und Dunkelheit, das vereinzelte Leuchten der Ortschaften, die Dämmerung und schließlich den Sonnenaufgang. Lediglich zwei Autos überholten mich. Eine absolut tolle Erfahrung! Fahrt im Dunkeln los!

 

Raus aus Malaucène
Früh morgens am Berg
Links die Alpen, rechts der Ventoux
Links der Berg – 1.400 Meter tiefer

Kurz nach mir kam vom Süden her hoch ein zweiter Radfahrer oben an. Ein paar Leute waren bereits oben, und einer war so freundlich, mein erstes Gipfelfoto zu schießen.

 

Ein Daumen

Nach dem Foto hin zum Auto. Frische Klamotten an und neue Flaschen ans Rad, einen Happen essen, und danach in die Abfahrt nach Bédoin stürzen und genießen. In den Ort rein, drehen, kurz Luft holen.

Jetzt kannte ich den Aufstieg, keine Überraschung. Es gab dabei eine Gewissheit: Dieser Trip wird nicht leichter als der erste.

 

Abfahrt nach Bédoin: Cave canem!

Auffahrt N°2 Bédoin

In Bédoin

Der Beginn der Strecke von Bédoin aus, genauso wie von den beiden anderen Startorten, ist, ganz im Gegensatz zum Ziel, nicht spektakulär.

 

Bédoin Kilometer „0“

Wie beim ersten Anstieg beginnt die Reise moderat. Durch Felder geht es langsam, aber sicher hoch, 3, 4, 5, 6%.

 

Blick vom Ortsausgang Bédoin hoch zum Ventoux

Nach kurzer Zeit war ich bereits im Waldgürtel, und in dem versteht der Berg bei beiden Anstiegen keinen Spaß.

 

Klare Ansage

War es zuvor im ersten Aufstieg dunkel, und wusste ich lediglich anhand der Schilder, die jeden Kilometer an der Seite standen, was an Prozenten auf mich zukam, so hatte ich jetzt die Schilder und die Strecke klar vor mir. Und das zog heftig an einem meiner Zähne.

8 Kilometer lang, bei mindestens 9%, hoffte ich: „Nach der nächsten Kurve wird es weniger!“ Aber ich wusste gleichzeitig, es wird nicht weniger, verlasst Dich drauf: Der Ventoux bescheißt dich nicht. Also: Treten!

 

Ein Motivationsstück

Eine englische Dame und ihr Gatte boten mir auf der Strecke einen willkommenen lustigen Zeitvertreib. Den Gatten hatte ich dabei nie zu Gesicht bekommen, aber die Dame dafür des Öfteren. Sie überholte mich regelmäßig ca. jeden Kilometer, zückte ihren Fotoapparat und wartete. Es wurden bestimmt schöne Bilder und wir hatten beide unseren Spaß.

Auf ca. 1.400 m Höhe lässt die Steigung ein wenig nach und das Chalet Reynard kommt in Sicht. Hier treffen sich die Straßen von Sault und Bédoin. Kurz nach dem Chateau hat man dann den berühmten Blick gen Turm, dort, wo alles kahl wird. Das Geröll ist omnipräsent, und kein Baum versperrt mehr den Blick nach vorne auf die Kuppe. Wie hoch der Schnee an manchen, kälteren Tagen liegt, sieht man anhand der doch recht hohen dunkelgelb, schwarzen Stangen am Straßenrand, die einen nun anfangen zu begleiten.

 

Chalet Reynard

Am Chalet Reynard gibt es einen Brunnen, wo man seine Bidons kostenlos auffüllen kann. Ich fuhr jedoch weiter, da ich ja im Auto meine Trinkvorräte hatte. Braucht man für die letzten Kilometer eine Pause, so ist dies definitiv ein geeigneter, aber nicht schöner Platz zum Verschnaufen, bevor es final in den Gipfelsturm geht.

 

Blick zurück vom Chalet, rechts nach Bédoin, links nach Sault
Und hoch zum Gipfel

Es geht von der Straßenzusammenführung aus noch zunächst moderat weiter, aber dann wartet wieder der Mann mit dem Hammer mit +/- 10 %. Die allerletzte Kurve vor dem Plateau mit dem Gipfelschild setzt mit standesgemäßen 22 gemessenen Garmin Steigungsprozenten den markanten Schlusspunkt hinter der vorherigen Kletterei.

 

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Wieder hat es knapp drei Stunden gedauert, mich nach oben zu wuchten. Foto, essen, trinken, wechseln, neue Pullen. Das Schlimmste vorbei. Dachte ich. Es kam anders. Die vermeintlich „leichteste“ Auffahrt entpuppte sich für mich als die schwerste. 

 

Zwei Finger

Pierre Kraemer

Noch ein paar Worte, warum der Weg von Bédoin so besonders ist. Wohl jeder, der bis hier den Bericht gelesen hat, kennt den Gedenkstein von Tom Simpson. Man findet hier immer Trinkflaschen und andere Memorabilien, ihn zu ehren. Dabei ist er doch ein schwieriges Vorbild. Bei aller Tragik, so wurde er doch ein Opfer des allgegenwärtigen Dopings, des Raubbau seiner selbst am eigenen Körper, des Ignorierens von Schmerzen und des Drucks, den er und andere ihm auferlegten.

Es gibt aber noch einen anderen, viel, viel unscheinbareren Gedenkstein, ein kleines Stück weiter oben, der mich viel mehr berührt, und der so viel besser meine Liebe zum Radsport zum Ausdruck bringt, als der Schrein des totbringenden Ehrgeizes von Simpson. 

« En mémoire du Gaulois P. Kraemer décédé en Ventoux 2.4.1983 Union Audax Français».

„In Gedenken an den Gallier P. Kraemer, verstorben am Ventoux 2.4.1983 Union französicher Audax“

Gedenkstein für Pierre Kraemer

Pierre Kraemer war ein Randonneur.

Randonneure sind Radwanderer, die in einem bestimmten Zeitrahmen Distanzen von 200, 300, 400, 600, 1.200 km und mehr unter die Räder nehmen.

Nicht die Schnelligkeit zählt, sondern das Wagnis (audax, lat. „wagemutig“), die Ausdauer, die Zähigkeit, aber auch der Sportgeist und die Lust an dem „Erfahren“ der Strecke und seines Körpers. Zwar müssen die Strecken in einem bestimmten Zeitrahmen absolviert werden, aber es gibt keine Ranglisten.

Das Ankommen, der Weg, das gemeinsame Erleben und die Kameradschaft prägen die Audaxe. Der Nachweis der geschafften Strecke erfolgt auf Brevetkarten, ähnlich derjenigen wie bei der Ventoux Challenge.

Pierre scheint in dieser Gemeinschaft einen besonderen Platz eingenommen zu haben. Nicht nur, weil er unglaubliche Distanzen zurücklegte, sondern insbesondere auch, weil er als „capitaine de route“ unterstütze, wo immer es ihm möglich war.

Seinen Spitznamen „Gallier“ hatte er, da er ein wenig wie Asterix aussah. 56 jährig erhielt er 1983 die Nachricht, er sei unheilbar an Krebs erkrankt. Er nahm sein Fahrrad und fuhr ein letztes Mal den Berg noch. Man fand ihn später unter einem Meter Schnee begraben.

« Je désire quitter ce monde sur mon vélo, la plus belle fin qui soit » Pierre Kraemer dit « Le Gaulois »

(„Ich wünsche mir, die Welt auf meinem Fahrrad zu verlassen, das schönste Ende, welches es gibt.“ Pierre Kraemer, genannt der Gallier.)

Mehr Infos auf Französisch: http://www.ccrml69.com/files/file/Mai2013.pdf


Auffahrt N°3 Sault

Die Ostauffahrt von Sault ist verglichen mit den beiden anderen Aufstiegen auf dem Papier ein „piece of cake“.

Die beiden anderen sind nahezu durchgängig ab einen bestimmten – frühen Punkt nur noch steil.

Von Sault aus bis zum Chalet Reynard sollten die ersten knapp 19 km der Auffahrt recht locker zu kurbeln sein. So der Plan. Nur hatte ich beim Planen noch keine 3.000 hm + in den Beinen. Und es war nicht über dreißig Grad heiß. Und auch nicht windstill.

 

30°+

Dass ich ziemlich sterblich war, merkte ich, als es nach der zweiten schönen Abfahrt kurz vor Sault knapp 100 hm hoch in den Ort hinein ging. Da ging nicht mehr so viel!

 

Die kurze Auf- / Abfahrt bei Sault

Von Sault aus nahm ich nach meinem letzten Stempel den letzten Anstieg des Tages mit meinen verbliebenen und schwindenden Kräften in Angriff.

 

Sault, ebenfalls ein nettes Örtchen

Aber die Hitze und Windstille um die abgeernteten Lavendelfelder herum in Verbindung mit meiner Erschöpfung machten auch moderate 5% / 6% in der Spitze mal 7 / 8% Steigung auf dem Weg zurück zum Chalet zu einer unterschätzen Herausforderung.

Abgeerntet
In der Hitze nur „leicht“ bergan

Zwischendurch sind die letzten 6, 7 km bis zum Chalet fast „flach“ und es bieten sich tolle Panoramablicke über die Provence. 

 

Panorama Terrasse

Aber zum Schluss, auf dem Weg zum Parkplatz, dem Zusammentreffen der Straßen, wurde mir mit jeder Umdrehung klarer: Das wird nicht lustig, noch einmal die knapp 500 hm durch die berüchtigte Geröllwüste bis zum Gipfel.

Kurz vor dem Chalet aus Sault kommend

Auf der Zielgeraden herrschte zu dieser Tageszeit Betrieb wie auf der Autobahn, und ich fuhr dabei gefühlt auf der Standspur. Auf den letzten Kilometern musste ich drei Mal angehalten, weil der Ofen aus war. Meine Erschöpfung kaschschierend schoss ich ein paar Fotos:

 

Stop 1
Stop 2
Stop 3

Aber schließlich, am Ende nach knapp zweieinhalb weiteren Stunden Kletterei, stehe ich das dritte Mal oben.

 

Ein Daumen und zwei Finger

Ganz schön bekloppt! Und zur Nachahmung empfohlen!

 


Links

Webcam mit Blick auf den Mont Ventoux

http://www.stationdumontserein.com/station/conditions-en-direct/

Wetter am Mont Ventoux

https://www.meteo-ventoux.fr/

Der Kahle Berg, niederländische Kultseite über den Mont Ventoux

https://www.meteo-ventoux.fr/

Club der Bekloppten: Dreimal auf den Mont Ventoux

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