Sellaronda 2017: Großartiger Ritt durch die Dolomiten

Sellaronda im Regen

Beitrag von Kai-Michael Lilie

Ich habe so manche Träume auf dem Rad erleben können. So manche träume ich noch. Kai-Michael - Radfahrer & Blogger aus Leidenschaft.

4. Juli 2020

Die Sellaronda

Die Sellarunde
50 km, 2.000 Höhenmeter

Sellaronda? Nie gehört!

Dolomiten? Süd-Tirol? Reinhold Messner?

Das sagte mir in der Reihenfolge von unten nach oben schon mehr. Irgendwann, irgendwo las ich einen Bericht über einen Rad Event über vier autofreie Pässe, der in einem UNESCO Weltnaturerbe stattfindet – die Sellaronda! Jetzt war ich angefixt.

Das Tolle an der Runde: Um daran teilnehmen zu können, braucht es keine Einschreibung. Auch kostet die Teilnahme keinen Cent. Jeder kann mit seinem Zweirad in jedem Tal starten: Alta Badia, Gröden, Fassatal oder Arabba. Es gibt keine Begrenzung der Teilnehmerzahl und jeder kann so lange fahren bis er möchte (und so oft). Die Strecke ist zwischen 8:30 und 15:30 Uhr für 7 Stunden exklusiv für unmotorisierte Zweiräder gesperrt.

Ideengeber des Sellaronda Bike Days ist der Sellaronda Skimarathon. Hier bewältigen Zweierteams mit Tourenskiern und Fellen die vier Dolomiten Pässe Pordoi, Sella, Gröden und Campolongo, über die es auch beim Bike Day geht.

Die Teilnehmer der Skiveranstaltung starten seit über zwanzig Jahren bei Sonnenuntergang und fahren, mit Stirnlampe ausgerüstet, durch die Nacht. Sie bezwingen dabei eine Strecke von 42 Kilometern mit einem Höhenunterschied von 2.700 Metern ohne die Hilfe von Skiliften. Das muss eine richtig coole Veranstaltung sein.

2006 wurde die Idee des Event für Radfahrer umgesetzt (mein Glück, da ich kein Ski fahre). Das Ganze startete beim ersten Mal mit einigen hundert Teilnehmern. Mittlerweile ist der Bike Day zu einem riesigen Event mit über 20.000 Radfahrern herangewachsen.

Also, check, da will ich auch einmal dabei sein. Nachdem ich für mich beschlossenen hatte, diese Runde zu fahren, beschäftigte mich als Norddeutscher aus Hamburg die Frage: „Wie komme ich da hin?“ Und wo ich gerade beim Überlegen war; eine Transalp wollte ich doch auch fahren?


Bozen

Schnell kristallisierte sich heraus, dass das Auto das Mittel der Wahl sein würde. Meinen Kumpel Kai, der im Gegensatz zu mir schon mehrfach in Tirol war, beschloss die Runde ebenfalls zu fahren, nicht aber über die Alpen. Am Ende sah die Reise für uns / mich wie folgt aus: Gemeinsame Anreise mit dem Auto von Kai über München und den Brenner nach Bozen. Für Kai den gleichen Weg retour, allerdings alleine, da ich mit dem Rad über die Alpen wollte. Ich fuhr nach der Sellarunde von Bozen mit dem Rad nach Innsbruck, und von dort mit dem Zug über München zurück in die Heimat.

Husch mit den Rädern rein ins Körbchen!

Wir sind die Strecke donnerstags von Hamburg aus bis Bozen in einem Rutsch durchgefahren. Bis München ging es ganz gut. Auf der A9 Richtung Österreich standen wir in dem obligatorischen Stau. Das war schon Ende der Achtziger Jahre so, als Thomas Gottschalk noch jung war, beim bayrischen Rundfunk moderierte und ich für zwei Jahre am Starnberger See lebte.

A9

Durch Österreich und über den Brenner ging es ohne weitere Probleme Richtung Bozen. Bozen hatten wir als Startpunkt ausgesucht, da ich zum einen von dort über das Penser Joch in die Transalp einsteigen wollte und Kai zum anderen gute Erinnerungen an den Ort hatte. Zudem war dort u.a. das Ötzi Museum, was wir beide uns als studierte Geschichtswissenschaftler unbedingt anschauen wollten.

Als wir abends schließlich in Alto Adige ankamen, war es immer dort drückend warm und schwül. Nachdem wir von unser Wirtin herzlich begrüßt worden waren, die Klamotten sicher verstaut waren, wollten wir entspannt Essen fassen. Wir ließen uns durch die Stadt treiben, und setzten uns schließlich in eins der Lokale, an denen wir vorüber schlenderten. Pizza und Bier waren die Wahl der Stunde. Nach dem Abendessen liefen wir gegen zehn Uhr weiter und es waren immer noch 31°C.

Pizze e Biera

Seit über zwei Wochen lag und litt der gesamte Alpenraum unter einem Hoch, was der Region wolkenlosen Himmel, keinen Regen und hohe Temperaturen bescherte. Wir freuten uns also auf Sonnenschein für die Runde. Wir dachten, dass wir es auf der Tour um das Sella Massiv in der Höhe angenehm warm hätten. Dachten wir.

Woarm is

Am Freitag und Samstag haben wir uns in Ruhe die Stadt angeschaut. Rein in den Supermarkt, Frühstück zusammengesucht, Essen gemacht, danach über den Markt geschlendert. Eindrücke in der Stadt gesammelt.

Caffe
Mercado

Ich war noch nie in Süd-Tirol, und war überrascht, mich in einer Stadt wiederzufinden, die mich an Bayern erinnerte, und nicht an das Italien, so wie ich weiter südlich kennengelernt hatte. Klar, wer sich ein wenig mit der Geschichte auskennt, weiß, dass Tirol in seiner Gänze jahrhundertelang von den Habsburgern beherrscht wurde, und eben nicht von italienischen Dynastien. Trotzdem, „Bayern“ südlich der Alpen fand ich ein wenig surreal. Deutsch sprechen in Italien, irgendwie seltsam. Aber gerade deswegen empfand ich die Stadt auch als sehr angenehm. Eine Melange aus beiden Kulturen und Sprachen, die sich gut gemeinsam in Europa arrangiert hatten, mit einer schönen, jahrhundertealten, nicht zerbombten Stadtbebauung, eingebettet in einer tollen Natur. Klasse!

Von Bozen selbst sind mir noch vier weitere Dinge haften geblieben:

  • Der aufgrund der Hitze unter Atemnot leidende Hochzeitsamischlitten, der immer wieder vor dem Standesamt absoff.
  • Das Boot im Kaufhaus.
  • Der Fahrradhighway, der die Radfahrer zählt.
  • Und schließlich der Ötzi, die best untersuchteste Mumie der Welt.

Am Freitag war der ganze Tag unerträglich heiß und schwül. Durch die Wettervorhersage wussten wir, dass für Sonntag dem Tage des Sella Ronda Bike Days Regen und Gewitter angesagt waren, zumindest für den Nachmittag. Wir sahen im wortwörtlichen Sinne, unsere Tour ins Wasser fallen. Was tun? Am Samstag mit den Autos und Motorrädern um das Massiv fahren, oder am nächsten Tag ohne, aber dafür mit der hohen Wahrscheinlichkeit nass werden? Wir beratschlagten und beschlossen, sonntags ganz früh zu starten und vor dem Regen wieder reinzukommen.


Zum Startpunkt der Sellaronda

Rumms, Grummel, Grummel. Sonntag, morgens 3 Uhr. Der Donner zerreißt die feucht-schwüle Nacht. Die vorhergesagten Gewitter beginnen 12 Stunden zu früh.

Als wir uns um sechs Uhr nach dem Aufstehen irgendwie etwas zerschlagen und derangiert anschauen, und nach draußen sehen, um festzustellen, dass es in Strömen regnet, fragen wir uns schon ernsthaft, ob unsere Entscheidung, die richtige war. Wir haben eine Zeitlang diskutiert, ob wir das mit der Fahrt nicht sein lassen wollen. Aber 1.000 Kilometer längs durch Deutschland und Österreich zu gondeln, um das nicht zu machen, was wir machen wollen, kommt einfach nicht infrage. Vielleicht hört der Regen ja auf, bis wir am Start sind, oder irgendwann zwischen durch? Also, auf Richtung Sellamassiv!

Als wir gegen sieben losfahren, regnet es nach wie vor in Strömen. In Bozen und auf dem Weg ins Gebirge begegnen uns kaum Auto. Dort, wo wir schließlich Richtung unseres Startpunktes abbiegen wollen, ist auf einmal die Straße gesperrt. Irgendwelche Schilder versuchen uns auf italienisch etwas zu erklären, was wir nicht verstehen. Egal! Wir fahren erst einmal weiter. Mut zur Lücke. Umdrehen können wir ja immer.

Heftiger Regen zum Start der Sellaronda
Der Regen war schon gewaltig!

Das Wasser kommt uns die Straße entgegen gelaufen. Geröll ist vom Wasser auf den Weg gespült. Ein großer Schneepflug taucht auf und schiebt die braune Melange aus Matsch und Steinen zurück an die Böschung. Als wieder Platz ist, fahren wir weiter. Forza Italia! Die ganze Zeit kommt uns niemand. Dann stoppt uns ein oranges Auto mit orangem Blinklicht. Obwohl der Herr eine unverständliche Sprache spricht, verstehen wir, dass hier für uns jetzt irgendwie Schluss ist. Diskussionsversuche auf Deutsch bringt auch nicht so richtig was. Also, wieder zurück. Aber wie kommen wir zum Startort Pian de Schiavaneis? Irgendwie klappt es, und wir fahren das Auto schließlich rauf auf einen Parkplatz. Fahrräder raus, ein letzter skeptischer Blick, und vor der offiziellen Sperrung der Sellaronda für den Straßenverkehr fahren wir vor acht Uhr dreißig los.


Das Sellajoch (2.213 m)

Aus dem Ort heraus geht es gleich hoch. Die Straße schwimmt, während wir mit unseren Reifen eine kleine Bugwelle hinter uns kreieren.

Kleine Bugwellen, aber Bugwellen – und ein Lächeln!

Die ganze Zeit über blitzt und grummelt es um uns herum. Bestimmt eine Stunde lang Blitz, 21, 22, 23, 24, und rumms. Wir mittendrin, uns bang fragend, was machen wir eigentlich, wenn die Einschläge im wahrsten Sinne des Wortes näherkommen? Das tun sie zum Glück nicht. Der erste Anstieg ist hoch zum Sellajoch, Passo Sella, Jouf de Sela, den wir nach knapp 1:15 Stunden erreichen. Vom Startpunkt aus sind es ziemlich genau 9 Kilometer und knapp 650 Höhenmeter, mit in der Spitze von knapp 16 Steigungsprozenten. Von der tollen Landschaft habe ich dabei überhaupt nichts mitbekommen. Alles grau nass vernebelt.

Thumbs up! Der erste Pass ist geschafft!

Der Pordoi (2.239 m)

Nach dem obligatorischen Passbeweisfoto am Sella geht es anschließend knappe 5,5 km – vorsichtig – abwärts. Das Wasser macht die Straßen weiterhin zum Spiegel. Die Pladderei nimmt kein Ende. Entsprechend vorsichtig bewegen wir uns nach unten. Durch den Fahrtwind wird es nun zudem richtig unangenehm kalt, der Windchillfaktor grüßt beharrlich und unangenehm.

Schöne, nasse Schlängellinien

Unten angekommen neigen sich die Fahrräder hoch zum Passo Pordoi, den wir nach ca. 50 Minuten Kletterei erreichen. Bis nach oben müssen wir ungefähr 420 Meter aufwärts klettern.

Zwischendurch gab’s auch mal nix mehr zu sehen.

Zwischendurch zeigen sich ein paar Felsformationen und der Blick schweift jetzt ab und zu in die Tiefe. Ich bekomme zumindest eine Ahnung von der Schönheit der Landschaft.

Blick zurück, wir sehen sogar etwas.

Vor dem Passschild ein kleiner Stau verursacht durch andere Fahrer, die ebenfalls eine schöne Erinnerung trotz des Regens mit nach Hause mitnehmen wollen. Von der berühmten Landschaft ist nach wie vor wenig zu sehen. Meine Begeisterung hält sich entsprechend in Grenzen.

Trotz des Lächelns, Thumb Down!

Nach dem Aufstieg geht es erneut abwärts, nunmehr Richtung Arabba. Auf 9 Kilometern verlieren wir ungefähre 600 Höhenmeter. Der Regen hat etwas nachgelassen und die Straße schwingt sich in schönen Bögen abwärts in den Ort hinein. Wir lassen unsere Räder schön laufen. Im Ort angekommen, genießen wir den Blick zurück. Aber jetzt machen sich der Schlafmangel, und der Temperaturfall von fast 20°C bei mir bemerkbar: In meinem Gesichtsfeld fängt es an zu flimmern. Eine Migräne kündigt sich durch ihre vorausgehende Aura an. Na super! Nach der Hälfte der Strecke mitten in den Dolomiten. Da hilft leider nichts so richtig. Also Tablette rein, und weiterfahren.


Campolongo (1.875 m)

Weiter, hoch zum Campolongo. Der kürzeste, „sanfteste“ und langweiligste Anstieg auf der Runde. Auf 4 Kilometern klettern wir lediglich 250 Meter. Auf der Strecke ist jetzt deutlich mehr los. Der Regen ist nahezu weg, dabei ist es aber immer noch recht diesig.

Highlight auf diesem Teilstück ist ein englisches Pärchen, das voll bepackt mit gefühlt zusätzlichen 20 Kilo Gepäck sich slowly but surely den Pass hochschraubt. Von „oben“ geht es anschließend nach dem Beweisfoto knappe 350 Meter auf sechs Kilometer in die Tiefe nach Corvara.

Das zweite Highlight auf diesem Teil der Strecke: Das Passschild

Passo Gardena (2.125 m)

Vom Campolongo aus nehmen wir unseren letzten Anstieg aufs Grödner Joch in Angriff. Noch einmal schrauben wir uns 9 Kilometer hoch. Auf den ersten drei Kilometern durchfahren wir dabei mit Corvara, Calfosch und schließlich Pecei, drei sehr touristisch geprägte Dörfer, und gewinnen dabei die ersten 100 von 600 Meter zum Passo Gardena (irgendwie erinnerte mich die Auffahrt die ganze Zeit an Gartenarbeit).

Noch immer ist das Wetter nicht überragend, aber ja doch, ab und zu, lässt sich die Sonne blicken. Ich ziehe sogar meine Windjacke aus, um an meinen Tan Lines zu arbeiten, schließlich sind wir im Süden!

Zwischendurch war das Wetter besser.

Je höher wir kommen, desto diesiger wird es wieder. Zum Pass hin steht der Nebel. Die Kälte kriecht wieder in die Knochen.

Am Anfang des Grödner Jochs

Nach dem Joch und dem Foto geht es erst einmal eineinhalb Kilometer abwärts, bevor wir auf ca. 2 Kilometer Strecke kaum Höhenverlust haben. Doch zuvor machen wir unser zweites Passfoto, und jetzt zeigt sich – endlich – die Schönheit der Berge, und die folgenden 3 Kilometer entlang des Gebirgsstocks mit Blick auf Murfreitspitze sind der mit Abstand beste Teil der ganzen Runde. Jetzt erahne ich, was ich die ganze Zeit zuvor versäumt haben mag. Bei schönen Wetter muss die Runde ein echtes Erlebnis sein.

Beim Passschild scheint endlich die Sonne!

ach dem flachen Stück geht es abschließend final abwärts zurück zu unserem Startpunkt. Hier können wir es nicht so richtig rollen lassen, da uns teilweise auf „unserer“ Seite andere Radfahrer entgegen kommen. Vollkommen unverständlich, da genug Platz für alle da ist. Überhaupt verteilen sich alle gut auf der Strecke. Die einzigen Zusammenballungen erlebten wir an den Passschildern. Sieht man vom schlechten Wetter ab, so bietet die Runde Platz, tolle Landschaft und tollen Asphalt. Mit dem normalen Verkehr mag das schon wieder anders sein. Der Bike Day ein tolle Veranstaltung ohne dem motorisierten Verkehr im Nacken diesen teil der Dolomiten zu erfahren.

Eine weitere Möglichkeit ohne Verkehr in der Region Pässe unter die Räder zu nehmen, ist der Dolomites Bike Day, der über den Valparola, Falzarego und ebenfalls den Campolongo führt. Dabei werden 51 km mit 1.400 Höhenmeter abgespult.

Für die, die noch mehr Lust auf die Dolomiten haben und über entsprechenden Bumms in den Beinen verfügen, und das Glück einen Startplatz zu dieser Kultveranstaltung zu ergattern, gibt es den Maratona dles Dolomites mit Start und Ziel in Alta Badia. Es gibt hier jedoch im Gegensatz zu den beiden anderen Veranstaltungen drei Streckenvarianten: Die Maratona-Strecke mit 138 km und 4.230 Höhenmetern, die mittlere Strecke mit 106 km und 3.139 Höhenmetern und die Sella Ronda mit 55 km und 1.780 Höhenmetern.

Für die ganz Harten gibt es dann noch den Trans Dolomitics Way über 1.200 km.

Wir kommen schließlich unten am Parkplatz an, rollen nach 59 Kilometer und 1.926 Höhenmeter aus und ziehen uns um. Wegfahren wollen wir aber noch nicht. Können wir auch nicht, weil der ganze Ort verstopft ist. Wir setzen uns gemütlich in ein angrenzendes Lokal und lassen es uns gutgehen, schauen dabei auf die Carabinieri, die die Zufahrt zum Sellamassiv absperren, und den Verkehrsstau.

Bei der verantwortungsvollen Arbeit

Die Absperrung wird um 15:30 Uhr weggeräumt, und die wartenden Motorräder, Autos und Camper erobern sich die Straße zurück.


Links

Offizielle Website der Sellaronda

https://www.sellarondabikeday.com/de

Offizielle Seite der Dolomites Bike Day

https://www.dolomitesbikeday.it/de/

Facebook Seite des Trans Dolomitics Way

https://www.facebook.com/events/dolomitics/trans-dolomitics-way/397613517323431/

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